Als Adolf Loos 1898 von «Pionieren der Reinlichkeit» sprach, waren damit nicht Architekturschaffende gemeint. Vielmehr blieb diese Auszeichnung einem bestimmten Handwerkszweig vorbehalten: den Plumbern. Indem sie die umfassende Versorgung der Bevölkerung mit Wasser ermöglichten, so Loos, handelten sie im Dienste der Zivilisation — was sie gleichsam über alle anderen Handwerksberufe des 19. Jahrhunderts stellte. Wie unter einem Brennglas verdeutlicht Loos’ «Die Plumber» die enge Beziehung zwischen Modernität und Ideen der Reinheit; er markiert einen Höhe- und Wendepunkt zugleich.

Dieses Seminar zeigt auf, dass der Begriff Hygiene schon länger zum Vokabulars der Architektur gehört als seit der jüngsten Periode von Epidemien (HIV, Ebola, SARS, MERS und nun COVID-19). Dabei soll verdeutlicht werden, wie sich die über zweihundertjährige Entwicklungsgeschichte der Public Health, deren Ursprünge — wie Michel Foucault bemerkt — im 18. Jahrhundert liegen, als Gesundheit zu einem Gegenstand der Politik wurde, und die im Übergang von der Sozial- zur Rassenhygiene zwischen den zwei Weltkriegen ihr dunkelstes Kapitel durchlief, stets im Zusammenwirken mit Architektur und Städtebau vollzog. Der interdisziplinäre Ansatz des Kurses bedarf nicht nur des Blicks in die Medizin- und Technikgeschichte — beispielsweise bezüglich des Wissens um pathogene Organismen, diagnostische Verfahren, medizinische Therapien und nicht zuletzt auch räumlich-architektonische Strategien zur Krankheitsbekämpfung. Auch die Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften, können viel über gesellschaftlich und historisch geprägte Vorstellungen von «Reinheit und Gefährdung» (Mary Douglas) sowie die Metaphern, die unser Denken und Handeln im Umgang mit Krankheit (Susan Sontag) leiten, verraten.

Hygiene erscheint so als prägende — wenngleich ambivalente — Denkfigur der Moderne. Auf der Grundlage von Lektüren und der Diskussion einzelner Fallbeispiele aus der Architekturgeschichte werden Themen betrachtet wie: das Verständnis gebauter Strukturen als Organismen und die Bedeutung von Infrastrukturen; die Entstehung spezifischer Bautypen wie Sanatorien, Badeanlagen oder Gesundheitszentren; die Rolle von Materialität im Hinblick auf Genesungsprozesse; oder auch Hygieneausstellungen und die Produktion und Vermittlung von Körperwissen einschließlich der Konstruktionen von Rasse und Andersartigkeit und den auf ihnen basierenden Formen räumlicher Segregation. Begegnet uns Architektur dabei häufig im Dienst größtmöglicher individueller und gesellschaftlicher Immunität als Werkzeug biopolitischer Maßnahmen — bisweilen gar auf die Optimierung des Menschen abzielender eugenischer Praktiken — so fragen wir auch, wie die gebaute Umwelt jüngst zu einer Gefahr und zum Auslöser gänzlich neuer Krankheitsbilder wie dem Sick-Building-Syndrom wurde und wie diese Phänomene unser Verständnis von Immunität in Frage stellen.